Übrige Spielethread

Dieses Thema im Forum "Vereinsfußball" wurde erstellt von Bademeister, 7. August 2009.

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  1. Bremen

    Bremen Moderator

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    Die Gründe hierfür sind unterschiedlich und und somit vielschichtig. Wobei auch stets berücksichtigt werden muss, dass spielerische Innovationen nicht in den Jugendmannschaften entwickelt und anschließend bei den Profis übernommen werden, sondern der Weg verläuft genau entgegengesetzt.

    Dies ist besonders beim Erfolg der spanischen Nachwuchsförderung erkennbar. Denn dieser basiert im wesentlichen auf dem Voetbal Total, der Ende der 1960er / Anfang der 1970er Jahre vom damaligen Ajax-Trainer Rinus Michels initiiert und diesen auf die Ajax-Akademie „de Toekomst“ (die Zukunft) übertrug. Dessen Schlüsselspieler Johan Cruyff implementierte diese fußballerische Philosophie Ende der 1980er Jahre als Chefcoach beim FC Barcelona sowohl bei den Profis und darauf aufbauend auch in der Barca-Nachwuchs-Akademie La Masia und diese stetig weiterentwickelte. Damit wurde La Masia zum Vorbild für andere spanische Nachwuchs-Akademien – und damit die „Keimzellen“ für die zahlreichen spanischen Erfolge, sowohl auf Vereinsebene als auch bei Länderturnieren in diesem Jahrtausend.

    Schwerpunkte in der Ausbildung waren und sind dabei
    - Spielerische Elemente, d.h. Ballkontrolle und Ballsicherheit die Grundvoraussetzungen für Präzession in Ballannahme und Passspiel sind
    - Spielintelligenz, welche die Basis für intelligentes Positionsspiel sowohl bei eigenem als auch bei gegnerischem Ballbesitz – Stichwort Pressing -, gegenseitigem Spielverständnis, schneller und richtiger Antizipation sowie exaktes Timing ist
    Taktische Schulungen stehen dagegen erst ab einem Alter von ca. 16 Jahren auf den Lehrplänen.

    In England ging und geht man dagegen andere Wege, auch wenn der Fokus in der Aus- und Weiterbildung ebenfalls im Spielerischen und Spielintelligenz liegen. Dort rief der Verband FA 2011 den Elite Player Performance Plan (EPPP) ins Leben. Dieser sah / sieht u.a. hohe Investitionen in die Ausbildung von Nachwuchstrainern vor und dass Fördergelder nicht nach dem "Gießkannenprinzip" verteilt werden, sondern z.B. von der Qualität der Nachwuchszentren abhängig sind. Und seit 2014 spielen alle Teams der Three Lions Teams vom Nachwuchs bis zur 1. Mannschaft mit den gleichen taktischen Grundsätzen und Ausrichtungen. So durchliefen u.a, Jude Bellingham und Jamal Musiala, eines dieser Nachwuchszentren.


    Und nun zu Frankreich:
    Gesellschaftliche Entwicklungen haben sicherlich Einfluss auf Entwicklungen auf den Breiten- und Profisport. Jedoch ist dahingehend der Zentralismus Frankreichs nicht gleichbedeutend mit Vorteilen in Nachwuchsförderung gegenüber der föderalen Bundesrepublik.

    Denn obwohl die Staatsformen von Frankreich und Deutschland so unterschiedlich sind, so sind die gesetzlichen Voraussetzungen für (Sport-)Vereine in beiden Ländern nahezu identisch: in beiden Nationen existiert (anders als z.B. in GB) ein zivilrechtliches Vereinsrecht, welches auch in der föderalen Bundesrepublik landesweit gültig ist. Deren grundsätzlichen Unterschiede liegen lediglich darin, dass das deutsche Vereinsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert ist, während für das französische Vereinsrecht [k]droit des associations[/k] eine Kombination aus dem [k]code civil[/k] (dem Pendant zu unserm BGB) und dem [k]loi du 1er juillet 1901 relative au contrat d'association (Gesetz vom 1. Juli 1901 über den Vereinsvertrag) [/k] die gesetzliche Grundlage bildet. Und wie bei uns in Deutschland wurden auch in Frankreich die Profiabteilungen aus den Stammvereinen in Kapitalgesellschaften ausgegliedert.

    Und gegen deine These, das Frankreich durch seine zentralistische Staatsform im Vorteil sei, spricht übrigens auch, dass der Fußball in der Grande Nation in den 1960er bis Mitte /Ende der 1970er Jahre auch bereits ein zentralistischer Staat war, aber in der Zeit sowohl die Equipe Tricolore als auch die Vereine spielten international nur die 2. Geige. Der Aufschwung dort kam erst durch die Trainer Michel Hidalgo und Henri Michel mit der großen Spielergeneration um Michel Platini, Alain Giresse usw. Eine ähnliche Entwicklung ist übrigens auch beim Handball zu beobachten. Der französische Handball (Frauen und Männer) führte bis Anfang/Mitte der 1990er Jahre ein internationales Schattendasein, mittlerweile gehört Frankreich auch dort zu den erfolgreichsten Nationen.

    Somit kann sich die Diskussion nur um die Umsetzungen der Nachwuchsförderungen durch die jeweiligen Verbände und der ihnen angeschlossenen Vereine drehen. Wobei die beiden von dir erwähnten Leistungszentren Clairefontaine – welches übrigens schon seit 1988 (!) existiert... - und DFB-Campus nicht dazu dienen, um die Nachwuchsförderung zu zentralisieren, sondern um besonders begabte Talente zusätzlich zum Vereinstraining zu fördern.


    Es ist richtig, dass viele französische Spieler aus den Banlieues von Paris, und übrigens auch von anderen Großstädten in Frankreich stammen, aber die Unterschiede sind im Vergleich zu Deutschland nicht in der Staatsform, sondern in der Umsetzung der jeweiligen Fußball-Verbände begründet:

    Denn der DFB setzte dabei anfangs ausschließlich auf die Förderung der Sportvereine. Grundsätzlich ein guter und richtiger Gedanke, allerdings mit im Vergleich zu Frankreich mit zwei entscheidenden Haken: 1. in den meistens Vereinen standen/stehen die Ergebnisse im Vordergrund und nicht das Anlernen der relevanten Fähigkeiten. Verbunden mit der Gefahren, dass Spaß am Spiel, Motivation auf der Strecke bleiben. 2. Sozial schwache Familien können sich Vereinsbeiträge, Ausrüstungen etc. nur schwer oder gar nicht leisten und somit die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass fußballerische Talente aus dem Milieu unentdeckt blieben.

    Die FFF hat es dagegen richtig gemacht: Sie investierte von Beginn an in Kleinfeld-Bolzplätzen ger zwar nicht nur, aber dennoch gerade in den Banlieues, wo Mädchen und Jungen auch aufgrund der kleineren Spielfläche sich die im Abschnitt Spanien dieses Posts bereits erwähnten, elementaren Skills wesentlich besser aneignen konnten und können. Und dies ohne taktische und Ergebniszwänge, was für Spaß am Spiel und Motivation förderlicher ist. D.h. diese Mädchen und Jungen verfügen bereits über fußballerische Fähigkeiten, bevor sie sich von ihren Erziehungsberechtigten in einem Club anmelden lassen bzw. von Club-Scouts auf den Bolzplätzen entdeckt werden. Somit war und ist es auch den Kids auch aus den Banlieues möglich, durch den Sport sozialen Aufstieg zu schaffen, was für Kids in Deutschland wesentlich schwieriger war/ist.

    Wie hervorragend diese Nachwuchsförderung in Frankreich funktioniert, ist auch in diesem Kicker-Artikel aus Juni 2021 zu lesen:
    https://www.kicker.de/spurensuche-i...-so-viele-superstars-ausbildet-806562/artikel


    Und genau ist das doch eines der Kernprobleme beim DFB. Obwohl (oder gerade weil?) er der größte Sporteinzelverband der Welt ist, fehlt es ihm an wirklich komplett durchdachten innovativen Ideen. Bzw. war und ist mit den zahlreichen Machenschaften, internen Querelen und der damit verbundenen Fluktuation in den Führungsgremien, der sogar der HSV vor Neid erblasst, zu sehr mit sich selbst beschäftigt, statt sich auf die wichtigen Aufgaben zu fokussieren. Somit werden dort werden Konzepte ausgebrütet und umgesetzt, um früher oder später feststellen zu müssen, dass diese doch nur halbgar sind und somit Korrekturen vorgenommen werden müssen, indem Innovationen der Wettbewerber kopiert und auf die eigenen Voraussetzungen und Bedürfnisse anpasst werden.

    Aus eigenen Fehlern und Versäumnissen die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist zwar eine positive Gabe, aber solange der DFB nicht in Lage ist, die Musik selber zu bestimmen, wird sie dieser weiter hinterherrennen. Und somit weiterhin beim Spitzenfußball meistens Zuschauer bleiben. Somit ist es z.B. auch keine Überraschung, dass inklusive dieser Saison 4 der letzten 5 Halbfinale in der Champions League ohne Beteiligung der Bundesliga stattfanden bzw. finden und somit wieder einmal Clubs aus England, Spanien, Italien und Frankreich den Henkelpott unter sich ausmachen.

    Hierzu erschien in diesen Tagen bei Zeit-Online ein Artikel, der dies sehr auf den Punkt bringt:
    https://www.zeit.de/sport/2025-04/bundesliga-fussball-europa-fc-bayern-bvb-champions-league