Ein Abend für mehr Verständnis
WERDER UND DIE ROBERT-ENKE-STIFTUNG SPRECHEN ÜBER DEPRESSION
17.10.25 von Judith Zacharias | 7 Min
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Wie spricht man über eine Krankheit, die so viele betrifft – und doch oft unsichtbar bleibt? Etwa 5 Millionen Menschen in Deutschland erkranken jährlich an Depressionen. Viele von ihnen schaffen es nicht, offen über ihre Erkrankung zu reden. Umso wichtiger sind Räume, in denen Austausch, Verständnis und Mut entstehen können. Einen solchen Raum hat der SV Werder Bremen am Donnerstagabend im Weserstadion gemeinsam mit der Robert-Enke-Stiftung geschaffen.
Rund 100 Gäste nahmen an der Veranstaltung teil, die sich mit dem Umgang mit Depressionen beschäftigte – aus Sicht von Betroffenen, Angehörigen, Expert*innen und Vereinsverantwortlichen. Moderiert wurde der Abend von Christoph Pieper, Leiter Kommunikation bei Werder Bremen, der zunächst mit dem aus Toulouse zugeschalteten ehemaligen Werder-Spieler Niklas Schmidt sprach. Im Anschluss diskutierten fünf Gäste auf dem Podium über persönliche Erfahrungen, gesellschaftliche Verantwortung und notwendige Veränderungen: Teresa Enke (Vorstandsvorsitzende der Robert-Enke-Stiftung), Martin Amedick (ehemaliger Bundesliga-Profi), Tarek Brauer (Geschäftsführer Organisation & Personal beim SV Werder Bremen), Prof. Dr. Marc Ziegenbein (Ärztlicher Direktor & Chefarzt des Klinikums Wahrendorff und Kuratoriumsmitglied der Robert-Enke-Stiftung,) und Ronald Reng (Journalist, Autor und enger Freund von Robert Enke, dessen Biografie er verfasst hat).
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Offenheit, die bewegt
Niklas Schmidt eröffnete den Abend mit einem mutigen und persönlichen Einblick in seine Erfahrung mit Depression. Im Jahr 2023 machte er seine Erkrankung öffentlich – ein Schritt, der sich für ihn damals wie heute richtig anfühlt. „Ich habe nie gedacht: Warum habe ich das gemacht? Im Gegenteil: Ich habe auf meine Offenheit viel Offenheit zurückbekommen. Das hat mir sehr geholfen.“
Heute will er seine Position als Profifußballer nutzen, um anderen Betroffenen Mut zu machen. Er weiß: „Es gibt keine Patentlösung, alle Betroffenen finden ihren eigenen Umgang damit. Mir hat es geholfen, mit den Menschen zu reden, die mir nahestehen, vor allem meiner Familie. Wenn ich einen Tipp geben kann, dann ist es: Seid nicht zu stolz, zu weinen. Das ist menschlich.“
Wenn Nähe nicht reicht
Wie sehr Depressionserkrankungen auch Angehörige verändern können, zeigte SVW-Geschäftsführer Tarek Brauer in sehr persönlichen Worten. Sein Bruder litt jahrelang an Depressionen und nahm sich schließlich das Leben. „Ich dachte lange, dass ich durch Zuneigung oder Fürsorge etwas verändern kann. Aber Liebe heilt diese Krankheit nicht.“
Diese Erfahrung habe seinen Blick auf Depressionen grundlegend verändert – und auch seine Rolle als Vereinsverantwortlicher neu definiert: „Wir wollen Räume schaffen, in denen Betroffene sich äußern können – und verstanden fühlen. Es ist unsere Aufgabe, Themen sichtbar zu machen, die sonst im Schatten stehen.“
Brauer sprach auch über das Dilemma, das viele Angehörige empfinden: „Sie sind keine Therapeut*innen. Sie dürfen Grenzen setzen – und sie dürfen das ohne Schuldgefühle tun.“
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Depression verstehen – ohne zu urteilen
Prof. Dr. Marc Ziegenbein, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, brachte die medizinische Komponente in die Diskussionsrunde ein und erklärte, warum das Thema oft so schwer greifbar ist: „Es gibt nicht die Depression – sondern ein Spektrum von Ausprägungen.“ Entscheidend sei jedoch bei allen Ausprägungen und Symptomen, die Krankheit ernst zu nehmen – denn Depression ist eine sehr ernstzunehmende Erkrankung, die jedoch in den meisten Fällen gut behandelbar und heilbar ist.
Der wichtigste erste Schritt für Nahestehende von Betroffenen sei oft ein einfacher: zuhören, Fragen stellen, da sein – ohne sich dabei selbst zu überfordern. „Man kann nichts falsch machen, wenn man mit Offenheit auf andere zugeht“, empfiehlt Ziegenbein.
„Die Depression hat ihn getötet – er wollte nicht gehen“
Teresa Enke, Vorstandsvorsitzende der Robert-Enke-Stiftung, sprach mit großer Klarheit über den langen Weg, den sie nach dem Tod ihres Mannes Robert Enke gegangen ist. Dabei machte sie deutlich: „Depression ist die Krankheit, die Robert getötet hat. Er wollte nicht gehen – er konnte nicht mehr.“ Ihr Appell: Depressionen müssen als das wahrgenommen und behandelt werden, was sie sind – ernsthafte Erkrankungen. „Ein depressiver Spieler sollte genauso behandelt werden wie jemand mit einem Kreuzbandriss“, so Enke. „Er sollte eng medizinisch begleitet werden und nach seiner Genesung die Chance haben, sich erneut zu beweisen.“ Gleichzeitig brauche es Netzwerke, in denen Betroffene sich nicht verstecken müssen. „Betroffene sind keine Schuldigen. Und Angehörige keine Versager, wenn sie nicht helfen konnten“, stellte Enke klar.
Auch Ronald Reng, langjähriger Freund von Robert Enke und Autor seiner Biografie, beschrieb eindrucksvoll, wie sehr Robert Enke trotz allem Lachen und Charme innerlich litt – und wie schwer es war, das zu erkennen. „Ich habe Robert 2002 kennengelernt, wir hatten sofort eine Ebene. Ich habe ihn als fröhlichen, herzlichen, empathischen Menschen erlebt. Dass er so litt, hätte ich nie geahnt.“
Zugleich warnte Reng davor, alle Hoffnungen auf öffentlich sichtbare Vorbilder zu legen: „Vorbilder sind extrem wichtig, aber sie dürfen nicht allein das Gewicht gesellschaftlicher Veränderung tragen. Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg finden – und verdient dafür Verständnis.“
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Angst, Karriere und gesellschaftlicher Wandel
Auch der ehemalige Bundesligaspieler Martin Amedick sprach offen über die Ängste, die ihn während seiner aktiven Zeit begleiteten: „Mein Gedanke war immer: ‚Was passiert, wenn das rauskommt?‘“ Die Sorge um ein mögliches Karriereende und das gesellschaftliche Stigma machten den Umgang mit seiner Erkrankung zu einer großen Herausforderung. Rückblickend sieht Amedick jedoch auch positive Entwicklungen, Strukturen und Anlaufstellen sowie eine erhöhte Offenheit in der Gesellschaft. Gleichzeitig betonte er, dass der Weg noch lang sei: „2012 habe ich meine Symptome noch als ‚temporäres Erschöpfungssyndrom‘ bezeichnet. Heute weiß ich, dass wir mentalen Erkrankungen genauso viel Aufmerksamkeit schenken müssen wie körperlichen. Es ist schön zu sehen, dass sich Schauspieler, Musiker und Sportler offen über ihre Erfahrungen sprechen."
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Die Veranstaltung im Weserstadion hat einmal mehr deutlich gemacht: Depression ist eine schwerwiegende, oft unterschätzte Krankheit, die Menschen in allen Lebensbereichen betrifft. Werder Bremen hat sich bewusst entschieden, dieses Thema sichtbar zu machen – auch intern. Bereits im Vorfeld der Podiumsdiskussion konnten Mitarbeitende und Jugendspieler*innen mithilfe der VR-Erfahrung „Impression Depression“ einen Perspektivwechsel erleben und sich in die Gedankenwelt eines depressiv erkrankten Menschen einfühlen.
Was bleibt, ist der gemeinsame Wunsch, weiter offen über psychische Gesundheit zu sprechen – ohne Stigma, ohne Angst, ohne Scham. Denn, so fasste es Tarek Brauer am Ende zusammen: „Depression ist keine Charakterschwäche. Es ist eine schwere, behandelbare Krankheit – und sie braucht unsere ganze Aufmerksamkeit.“
Hinweis: Wer selbst von Depression betroffen ist oder sich Sorgen um nahestehende Person macht, ist nicht allein. Hilfe und Unterstützung bietet unter anderem die Telefonseelsorge, die anonym, kostenfrei und rund um die Uhr erreichbar ist, die Deutsche Depressionshilfe oder die Robert-Enke-Stiftung mit ihren Angeboten für Betroffene, Angehörige und Interessierte.